EXKURS EINS

Zur Chronologie der Äbte von Saint-Denis in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts

Nachdem zwei Gerichtsurkunden des Königs Childebert III. (13. und 14. Dezember 709)[1] den Abt Dalfinus[2] nennen, ist Abt Chillardus als Leiter des Konvents in einer Schenkungsurkunde desselben Königs vom 12. März 710[3] bezeugt. Nachweisbar ist er bis März 716[4], als das Kloster unter seiner Führung[5] noch zwei Urkunden des Königs Chilperich II erhält.
Am 28. Februar 717[6] ist dann der Bischof von Paris Turnoaldus[7] als custus (Vorsteher) von Saint-Denis bezeugt[8].
Auf Grund einer am 01. März 752 ausgestellten Urkunde des Königs Pippin, die eine Schenkung zugunsten des Klosters zur Zeit Chilpericum (gest. 721) regem antecessorum nostrum et Hugonem antecessorum ipsius Fulradi abbati (von Saint-Denis) erwähnt[9], wird vermutet, dass der Arnulfinger Hugo[10] das Kloster einige Zeit[11] nach Turnoaldus[12] geleitet hat.
Eine unechte Urkunde[13] mit Datum 01. März 723/724, laut deren Aussage der König Theuderich IV. der Basilika St. Denis auf Petition des Hausmeiers Karl (Martell) eine Urkunde König Chlodwigs II.[14] bestätigt und die freie Abtswahl verleiht[5], nennt als Abt einen Berthoaldus[16].
Ein placitum des Königs Theuderich IV.[17], ausgestellt am 03. März 726, verfügt, dass eine genannte villa im Chambliois der Basilika Saint-Denis unter Abt Godobaldus[18] zugesprochen wird.
Der nächste Abt von Saint-Denis, Amalbertus, ist im Jahre 748 bezeugt[19].
Ihm folgt der berühmte Fulradus[20], der erstmals am 17. August 750[21] urkundlich genannt ist.  


[1] MGH diplomata regum Francorum e stirpe Merovingica (Die Urkunden der Merowinger), hrsg. von Kölzer, Theo nach Vorbeiten von Carlrichard Brühl unter Mitwirkung von Martina Hartmann und Andrea Stieldorf, I. Teil, Hannover, 2001, Nr. 156 und 157 S. 388-393.
[2] Nachfolger des Abtes Chaino, der, laut Semmler (Semmler, Josef, Zur pippinidisch-karolingischen Sukzessionskrise 714-723 [Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 33, Köln-Wien, 1977, 1-36], S. 12 Anm. 84) noch 702 belegt ist.
[3] MGH DD Merov. I  (wie Anm. 1), Nr. 159 S. 395-398.
[4] MGH DD Merov. I, Nr. 168 S. 417-418 vom 16. März 716; Nr. 170 S. 422-423 ausgestellt im März 716.
[5] Nach dem Tod Pippins II. (714) rebellierte die anti-pippinidische Opposition und die Neustrier erhoben Raganfridus zum neuen Hausmeier. Hierzu siehe Semmler, wie Anm. 2, S. 1-8. Da Raganfridus persönlich mehrmals zugunsten der von Chillardus geleiteten Abtei intervenierte, kann mit Sicherheit angenommen werden, dass er sich mit dem Abt von Saint-Denis "arrangiert" hatte (s. Kölzer, MGH DD Merov. I/1, S. 413; Peters, Ralf, Die Entwicklung des Grundbesitzes der Abtei Saint-Denis in merowingischer und karolingischer Zeit, Diss. Univ. Düsseldorf, Aachen, 1993, S. 131; Semmler, ebd., S. 12-14).
[6] MGH DD Merov. I/1, Nr. 173 S. 430-431.
[7] Zu diesem Bischof von Paris, der 693 bis 717 bezeugt ist, siehe Dubois, Jacques, Les évêques de Paris des origines à l'avènement de Hugues Capet (Bulletin de la Société de l'histoire de Paris et de l'Ile-de-France, 96, 1969), Paris, 1971, S. 68-69.
[8] Hinter dieser Personalunion zwischen dem Inhaber des Bischofsamtes von Paris und dem Klostervorsteher von Saint-Denis stand sicher Raganfridus und wohl nicht die Klosterinsassen (s. Peters, wie Anm. 5, S. 132; Semmler, wie Anm. 2, S. 14-15).
[9] MGH DD Karol. I Nr. 1 S. 3-4.
[10] Siehe den Artikel Hugo von Pycke, J., in Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastiques, 25, 1995, Sp. 280-285.
[11] Da Hugo nicht gleich nach Turnoaldus die Cathedra des Bischofs von Paris bestiegen hat (s. Anm. 10), "dürfte er (als Vorsteher von Saint-Denis) dem Bischof Turnoald, einem Parteigänger Raganfrids, sofort gefolgt sein" (Semmler, wie Anm. 2, S. 29 Anm. 204; unsicher die Gleichsetzung des Hugos der Urkunde mit dem Neffe Karl Martells bei Felten (Franz J., Äbte und Laienäbte im Frankenreich. Studie zum Verhältnis von Staat und Kirche im früheren Mittelalter [Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 20], Stuttgart, 1980, S. 120 Anm. 36; vorsichtig Pycke, J., wie Anm. 10, Sp. 282). Jedenfalls leitete ein Hugo das Kloster eine gewisse Zeit zwischen 718 und 721.
[12] Nach dem Sieg Karl Martells über die Neustrier (wohl im Frühjahr 718), hat dieser sicherlich eine Neuorganisation der Herrschaft in Neustrien vorgenommen (hierzu Semmler, wie Anm. 2, S. 25ff.) und es ist anzunehmen, sollte Turnoaldus noch am Leben gewesen sein, dass er ihn in seinen Ämtern ersetzte. Der Bischofskatalog fügt nach Turnoaldus die Namen Aldulfus, Berneharius und Ugu ein (Dubois, wie Anm. 7, S. 34-39). Über die zwei Erstgenannten ist nichts bekannt (ebd., S. 69). Ugu ist niemand anderes als der Arnulfinger Hugo (Pradié, Pascal, Chronique des abbés de Fontenelle [Saint-Wandrille] [Les classiques de l'histoire de France au Moyen Age, 40], Paris, 1999, S. 58-59 lat./fr.).
[13] MGH DD Merov. I/1, Nr. 185 S. 458-462.
[14] MGH DD Merov. I/1, Nr. 85 S. 216-220 aus dem Jahre 654.
[15] Dazu Semmler, Josef, Saint-Denis: Von der Coemeterialbasilika zur königlichen Benediktinerabtei (Beihefte der Francia, 16/2. La Neustrie. Les pays au nord de la Loire de 650 à 850. Colloque historique international publié par Hartmut Astma, 2, Sigmaringen, 1989, 75-124), S. 92;  Kölzer, MGH DDD Merov. I/1, S. 459, mit Vorbehalt.
[16] Dieser Abt ist sonst nicht bezeugt. Aber es ist schwer vorstellbar, dass die Urkunde, die dem auf dem Sterbebett liegenden König Pippin 768 von dem Abt von Saint-Denis Fulradus zur Bestätigung vorgelegt wurde (MGH DK I, Nr. 25 S. 34-35), einen erfundenen Abt nennt, bedenkt man außerdem, dass Pippin einige Zeit in Saint-Denis erzogen worden ist (s. Werner, Matthias, Der Lütticher Raum in frühkarolingischer Zeit [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 62], Göttingen, 1980, S. 133 Anm. 35). Die gleiche Bemerkung gilt auch wahrscheinlich für das Datum der Fälschung. Daraus lässt sich folgern, dass vermutlich vor Godobaldus ein Berthoaldus das Kloster geleitet hat und dies wahrscheinlich noch im Jahr 723.
[17] MGH DD Merov. I/1, Nr. 187 S. 465-467 (mit Liste der älteren Drucke). Zu dieser Urkunde, s. Peters, wie Anm. 5, S. 137-138). Die Abschriften des XVII. Jh. scheinen das Original als Vorlage gehabt zu haben.
[18] Die Miracula s. Dionysii aus der ersten Hälfte der 9. Jahrhunderts (Luchaire, Achille, Etude sur quelques manuscrits de Rome et de Paris [Université de Paris. Bibliothèque de la Faculté des lettres. VIII], Paris, 1899, S. 94. Die zwei ersten Bücher der Miracula sind zur Zeit des Kaisers Ludwig der Fromme verfasst, vielleicht im Jahre 834. Dazu Wyss, Michaël, Atlas historique de Saint-Denis. Des origines au XVIIIe siècle, avec la collaboration de Nicole Meyer-Rodrigues, par divers auteurs [Documents d'archéologie française, 59], Paris, 1996, S. 38-40; Frank, Hieronymus, Die Klosterbischöfe des Frankenreiches [Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens, 17], Münster in Westfalen, 1932, S. 41-43; Luchaire, ebda., S. 21-24) berichten, dass Godobaldus einer der Beteiligten an der Seite des comiti Dodoni bei der Ermordung des Bischofs Lantbertus (von Tongern-Mastricht) war. Von Gott für diese Tat mit Krankheit bestraft, versucht er durch eine lange Pilgerfahrt Vergebung und Heilung zu erlangen. Endlich erlangt er in Saint-Denis die Gesundheit wieder, wonach der Abt Helardus (= Chillardus, siehe oben) ihn im Kloster aufnahm. Auf  Karls Anordnung sei er später dort zum Abt erhoben worden und habe Saint-Denis 25 Jahre vorgestanden. Sollte man der Zeitangabe der Miracula Glauben schenken, würde es heißen, dass Godobaldus spätestens um 723 die Abtswürde übernommen hätte, da der nächste Abt 748 bezeugt ist (s. Gallia Christiana, 7, Paris, 1744, Sp. 342-343).
[19] Heidrich, Ingrid, Die Urkunden der Anulfinger, Bad Münstereifel, 2001, Nr. 18 S. 102-103 (mit Liste der Abschriften und der älteren Editionen).
[20] Zu Fulradus, siehe z. B. Semmler, Josef, Verdient um das karolingische Königtum und den werdenden Kirchenstaat: Fulrad von Saint-Denis (Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hg. Münsch Oliver und Zotz Thomas, Ostfildern, 2004, 91-115).
[21] Heidrich, wie Anm. 19, Nr. 21 S. 107-111.

01.01.2010