T E U T S I N D U S

Abt von St. Martin in Tours 733/735 -
Abt von Fontenelle (Saint-Wandrille), vermutlich 735 - 738 oder 743/744

Die Gesta sanctorum patrum coenobii Fontanellensis[1] berichten, dass Teutsindus[2], pater[3] coenobii sancti Martini Turonensis[4], die Leitung des Klosters Fontenelle[5] im Jahr 734[6] erhält[7]. Nach dem Text der Gesta leitete er gleichzeitig beide Klöster[8].
Er blieb in der Erinnerung von Fontenelle als ein Tyrann[9], der fast ein Drittel der Klostergüter entfremdete, um sie Verwandten sowie Männer des Königs zu schenken[10] und die zur Verarmung des Klosters führten. Als Beispiel bringt der Verfasser die Prekarie, die Teutsindus dem Grafen Rathario[11] gewährte[12]: Gegen einen jährlichen Zins von sechzig solidi erhält der Graf Besitz im Talou[13], Vexin[14] und Vimeu[15], insgesamt 28 villae[16].
Unter seinem Abbatiat baute sein praepositus Ermharius die dem hl. Michael gewidmeten basilicam[17].
Das Erhebungsdatum seines Nachfolgers Wido ist umstritten, entweder 738 oder 743/744[18].


[1] Pradié Pascal, Chronique des abbés de Fontenelle (Saint-Wandrille) (Les classiques de l'histoire de France au Moyen Age 40, 1999), S. 74-89 (lat./fr.); Lohier F. et Laporte J., Gesta Sanctorum Patrum Fontanellensis coenobi (Gesta abbatum Fontanellensium), Rouen-Paris 1936, S. 46-56. Die Abfassung dieses Teiles der Gesta könnte am Anfang des 9. Jahrhunderts erfolgt sein (hierzu Becher Matthias, Die Chronologie der Äbte von Saint-Wandrille in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Studien zu den Gesta abbatum Fontanellensium, in: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Happ und Ulrich Nonn, Berlin, 2004, 25-47, hier S. 27; Pradié, ebd., S. XXV-XXVIII; Wood Ian, Saint Wandrille and its Hagiography, in: Church and chronicle in the Middle Ages: essays presented to Taylor John, ed. by Wood Ian and Loud G. A., London and Rio Grande, 1991, 1-14, hier S. 4-5; Lohier/Laporte, ebd., S. XXXI-XXIII).
[2] Zum Namen, vgl. Förstemann Ernst, Altdeutsches Namenbuch. I: Personennamen, Bonn 1900, Nachdruck München 1966, Sp. 1448.
[3] Es ist die einzige Erwähnung dieses Abtes von St. Martin in Tours in den Quellen (Gallia Christiana in provincias ecclesiasticas distributa 14, Paris 1856, Sp. 160). Sein vermutlich unmittelbarer Vorgänger Audelandus/Vudolandus ist urkundlich im Jahr 733 bezeugt (Debus Karl Heinz, Studien zu merowingischen Urkunden und Briefen. Untersuchungen und Texte, in: Archiv für Diplomatik 14, 1968, 1-192, hier Nr. 24 S. 132-135). Zu diesem Abt, vgl. Vita s. Pardulfi, abbatis Waractensis, in: Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Merovingicarum 7, Hannover 1920, S. 32 Anm. 2. Eine zeitgenössische oder auch spätere Liste der damaligen Äbte dieses Klosters ist mir nicht bekannt. Nach dem Text der Gesta leitete Teutsindus gleichzeitig beide Klöster (S. 88 c. 6).
[4] Kloster St. Martin in Tours (Frankreich, Hauptstadt/Préfecture des Départements Indre-et-Loire; vgl. Karte: Atlas de la France de l'an mil. Etat de nos connaissances, sous la dir. de Parisse Michel avec l'aide technique de Leuridan Jacqueline, 1994, S. 59).
[5] Das Kloster Fontenelle, später Saint-Wandrille genannt, wurde im 7. Jahrhundert gegründet (Frankreich, Saint-Wandrille-Rançon Département Seine-Maritime in der Normandie, Arrondissement Rouen. Karte: Atlas de la France de l'an mil. Etat de nos connaissances, sous la direction de Michel Parisse avec l'aide technique de Jacqueline Leuridan, Paris 1994, S. 35).
[6] Teutsindus, pater coenobi sancti Martini Turonensis aecclesiae, sortitur locum regiminis ab anno dominicae Incarnationis D CC XXXIIII, indictione II, qui erat annus praefati regis Theodorici XV […] (Pradié, S. 74). Das 15. Herrscherjahr des Königs Theuderich entspricht aber den Jahren 735/736 (Regierungsbeginn: 31. Januar/02. März 721; vgl. Weidemann Margarete, Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert, in: Francia 25/1, 1998, 177-230, hier S. 230). Becher, wie Anm. 1, S. 39 setzt den Anfang  Teutsindus' Abbatiat in Fontenelle zwischen den 31. Januar und den 05. Mai 735. Er folgt hier dem Abt und Bischof von Reims Lando.
[7] Teutsindus war wohl ein Getreuer Karl Martells.
[8] Pradié, S. 88-89 c. 6.
[9] Pradié, s. 74-75.
[10] Pradié, S. 76-77: [...] Nam poene tertiam facultatum partem abstulit, suisque propinquis ac regiis hominibus ad possidendum contradidit, quae usque nunc de isto coenobio permanent ablatae [...]. Diese Güter waren demnach zur Zeit der Verfassung der Gesta immer noch nicht im Besitz des Klosters.
[11] Vermutlich im Gebiet von Rouen (Ebling Horst, Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches von Chlothar II [613] bis Karl Martell [741], in: Beihefte der Francia 2, 1974, Nr. 264 S. 206).
[12] Pradié, S. 78-81. Der Verfasser setzt diese Prekarie in das Jahr 734; es ist aber eher an 735 zu denken (vgl. Becher, wie Anm. 6).
[13] […] in pago Tellau […]: Gau nordöstlich von Rouen, begrenzt vom Vimeu im Nordosten, vom Meer im Nordwesten,  vom Pays de Caux im Westen und vom Roumois (Pays de Rouen) im Südosten, alle in der Diözese Rouen (vgl. Le Prévost Auguste, Anciennes divisions territoriales de la Normandie, in: Mémoires de la Société des Antiquaires de Normandie 11, Paris 1840, 1-59, hier S. 4-12).
[14] […] in pago Veliocassino […]: Gau südlich vom Talou, östlich vom Roumois, im Süden von der Seine begrenzt.
[15] […] in pago Vimnau […]: Landschaft östlich vom Talou.
[16] [...] sunt villae XXVIII, exceptis adiacentiis aliquarum, quae ponuntur in duobus pagis, Tellau scilicet et Vuimnau [...]. Zu den verschiedenen aufgezählten Orten, die hier nicht wiederholt werden, siehe Pradié, S. 78-81.
[17] Pradié, S. 86-89.
[18] Der Verfasser bemüht sich mehrere Zeitsysteme zu verwenden, um das Jahr der Erhebung eines Abtes und seine Amtsdauer zu datieren. Da er aber offensichtlich mit dieser Aufgabe maßlos überfordert war, passen die Angaben untereinander selten zusammen, wie auch hier, was bis heute zu kontroversen Datierungsversuchen geführt hat. Die widersprüchlichen Inkarnations- und Königsjahre für Widos Erhebungsdatum sind sicherlich darauf zu führen, dass dem Chronisten das Interregnum von 737 bis 743 zwischen Theuderich IV († 737) und Childerich III. (seit 743) entgangen ist. Herrscht bis hier Einstimmigkeit, gehen dann die Meinungen auseinander. Die einen geben dem Regierungsjahr Childerichs (743/744) Vorrang, wo noch dazu die Gesta eine Schenkung zugunsten Widos anno I eiusdem regis Hilderici festgehalten haben, die anderen bleiben beim Jahr 738 wegen der Erwähnung des princeps Karl († 741), wobei der Autor der Gesta sich für die Hinrichtung Widos auf einen Augenzeugen beruft. Zu den Letzten neuerlich Becher, wie Anm. 1, S. 27-31, 40-42, der aber verschiedene mögliche Vorschläge machen muss, um den Widerspruch der Gesta aufzulösen; zu den Ersten auch neuerlich Glatthaar Michael, Bonifatius und das Sakrileg. Zur politischen Dimension eines Rechtsbegriffs, in: Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, 17, 2004, S. 287-289. Die kontroverse Literatur zu diesem Datum befindet sich in beiden Werken, deswegen gehe ich hier nicht weiter darauf ein (siehe Artikel Wido). In St. Martin von Tours ist möglicherweise ein Abt Aricus für 745/746 erwähnt (siehe Artikel Aricus; oben Anm. 3).

04.08.2016