V U L F A R D U S[1]

belegt als Abt von Saint-Martin in Tours von 763 bis 774

In einem sicherlich im Jahr 758 geschriebenen Brief an König Pippin[2], berichtet Papst Paul I., dass der König ihm Vulfardus[3], … vestrae fidelis missus ou vestrae inluster missus mit dem Tauftuch seiner im Vorjahr geborenen Tochter (Gisla)[4] zugesandt hat, damit der Papst deren Pate wird [5] .
Ein Schreiben des Papstes an die Könige Karl und Karlmann aus dem Jahr 763[6] ist die Antwort auf deren Brief, in dem sie sich dafür entschuldigen, ihm mit den gegenwärtigen Boten, den Äbten Droctegangus[7] und Vulfardus[8], ihre Geschenke nicht mitsenden konnten[9]. In einem Schreiben an Pippin[10], Ende 763/Anfang 764, nüzt der Papst die Gelegenheit der Rückkehr der missi Droctegandus und Vulfardus [11] , um den König zu bitten, ihm Nachrichten über dessen Feldzug gegen die Aquitanier mitzuteilen.
Während der Kämpfe zwischen dem Herzog Waifarius von Aquitanien und König Pippin[12] gab es verschiedene Gefechte der Aquitanier gegen die Franken. Bei einer Expedition gegen Tours wird der Graf von Poitiers Ammanugus von den homines Vulfardo abbate monasterio sancti Martini getötet[13].
Vermutlich Ende 765 erwähnt Papst Paul I. in einem Brief an Pippin[14], dass Vulfhardus[15] und seine socii als königliche missi die Boten des Papstes mit einem Schreiben des Königs nach Rom begleitet haben[16]; er teilt Pippin auch mit, dass er Vullhardum et eius socium, … pro utilitatibus sanctae nostrae ecclesiae[17] zurückgehalten hat.
Während des Streites zwischen Papst Hadrian I.[18] und den Langobarden[19] sendet Karl der Große, um sich über die wirkliche Lage zu informieren[20], im Jahr 773 Georgius sanctissimus episcopus[21], Gulfardus religiosus abba et consiliarius[22], seu Albuinus deliciosus ipsius regis nach Italien.
Vielleicht war Gulfardus[23] mit Karl dem Großen[24] in Pavia, als am 16. Juli 774[25], nach der Eroberung der Stadt und des langobardischen Königreiches, der König und seine Gattin Hildegardis[26] dem von Abt Gulfardus geleiteten Kloster Saint-Martin von Tours causa vestimentorum, insula cum castello Sermionense[27] , que est sita in lacu Minciade[28] mit dem von Königin Ansa[29] erbauten monasteriolum, den vallem illam que vocatur Camonia[30] cum salto Candino vel usque in Dalanias cum montibus et alpibus a fine Treentina[31] qui vocatur Thonale[32] usque in finem Brixamcinse[33] seu in giro Bergamasci[34], mit dem sinadochium von Waham bei Pavia inter Padum[35] et Ticinum[36] schenken.
Am 30. August 816[37]  bestätigt Kaiser Ludwig der Fromme dem Kloster Saint-Martin (in Tours) auf Bitte Bitte des Abtes Fridugisus, laut der von seinem Vater König Karl (der Große) dem Abt Wlfardus verliehenen Urkunde[38], Zollfreiheit für carra et samnatica sur les marchés in partes Austriæ atque Neustriæ, aut Burgundiæ, aut Aquitaniæ, aut Provinciæ, aut Italiæ, aut cæterarum partium loca imperii.
In einer anderen am 14. November 832 ausgestellten Urkunde[39] erwähnt der Kaiser die von den Äbten Wulfadus und Itherius zur Zeit Karls des Großen vorgenommene Teilung der Güter des Klosters.


[1] Vulfhardus, Vullfardus, Uulhardus, Gulfardus, Wlfardus.
[2] Codex Carolinus Nr. 14, MGH Epist. III, S. 511-512; Jaffé, Philipp, Monumenta Carolina (Bibliotheca rerum Germanicarum, 4), Berlin, 1867, ND. Aalen, 1964, S. 72-74. Der Papst nimmt das Tauftuch sabanum …, in quo nostra dulcissima atque amantissima spiritalis filia sacratissimo fontis lavacro abluta suscepta est während der Feierlichkeiten der Translation der hl. Petronella, die im Jahr 758 bezeugt ist,  in Empfang (Chronica Sigeberti Gemblacensis., MGH SS VI, S. 332; Liber pontificalis, ed. Louis Duchesne [Bibliothèque des Ecoles françaises d'Athènes et de Rome], I, Paris, 1886, S. 466 Anm. 5; Oelsner Ludwig, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter König Pippin [Jahrbücher der Deutschen Geschichte], Leipzig, 1871, S. 319).
[3] Da für diese Zeit keine Liste der Äbte von Saint-Martin in Tours bekannt ist, nimmt man allgemein an, dass er dem 756 verstorbenen Abt Wicterbus folgte (Annales Petaviani, MGH SS I p. 18; MGH SS III p. 170; dazu Semmler, Josef, Zu den bayrisch-westfränkischen Beziehungen in karolingischer Zeit [Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 29, München, 1966, 344-424], S. 349-350; Gallia Christiana, t. 15, Paris, 1860, Sp. 160). Das Fehlen des Abttitels sowohl im Brief wie auch im Kopfregest (Hack, Achim Thomas, Codex Carolinus. Päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert [Päpste und Papsttum, 35], Stuttgart, 2006, S. 69-73) hinterlässt Bedenken: entweder gab es nach Wicterbus' Tod eine längere Vakanzzeit (Hack, S. 1024 Anm. 158) oder es handelt sich um einen Laien (Kehr, P., Über die Chronologie der Briefe Papst Pauls I. im Codex Carolinus [Nachrichten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse 1896, Göttingen, 1896,102-157], S. 133 n. 1. Siehe unten Anm. 13 und 39.    
[4] Gisla ist 757 geboren (Ann. Petav., MGH SS I, S. 11).
[5] Der König hatte es dem Vorgänger und Bruder des jetzigen Papstes, gestorben am 26. April 757, zugesagt (Cod. Carol. Nr. 14, wie Anm. 2).
[6] Codex Carolinus Nr. 26, MGH Epist. III, S. 530-531 (Jaffé, S. 103-104). Dieser Brief ist ins Jahr 763 zu setzen (s. Oelsner, wie Anm.2, S. 380-382). 
[7] Droctegangus, Abt von Jumièges.
[8] Missam relationem excellentiae vestrae, deferentibus harum gerulis, Droctegangum scilicet et Vulfardum religiosis abbatibus, suscipientes,…
[9] Hack, wie Anm.3, S. 960 Dep. 16.
[10] Codex Carolinus Nr. 28, MGH Epist. III, S. 532-533 (Jaffé, Monumenta, S. 103-104).
[11]per Droctegandum et Vulfardum, Deo amabiles, fidelissimos vestros missos, ….  L'analyse placée en tête de la lettre est intitulée Item exemplar epistolae eiusdem papae ad dommum pippinus per [uul]fardum etsocios eius derectae, ...
[12] Pippins Feldzüge gegen die Aquitanier dauern von 760 bis 768. Dazu Rouche, Michel, L'Aquitaine des Wisigoths aux Arabes 418-781. Naissance d'une région, Paris, 1983, S. 120-128 mit Karte S.125.
[13] Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Continuationes c. 45, neu übertragen von Haupt, Herbert (Ausgewählte Quellen zur deutschen geschichte - Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, IVa: Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts, Darmstadt, 1982, 272-325 lat./dt.), S. 314-315; Annales Mettenses priores, MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum [10], rec. B. de Simson, Hannover-Leipzig, 1905, S. 53 ad a. 765 (Kompilation, Anfang des 9. Jahrhunderts. Das Jahr ist in der Version A1, die beste laut Editor, nicht angegeben); s. Rouche, wie Anm. 16, S. 124; Oelsner, wie Anm. 2, S. 384  zu den Jahren 763-764; BM² 96c S. 49.
[14] Codex Carolinus Nr. 37, MGH Epist. III, S. 547-550 (Jaffé, Monumenta, S. 129-134). Dieser Brief ist Ende 765 geschrieben worden (s. Kehr, wie Anm. 3, S. 125-126).
[15] … vestris missis, Vulfhardo nemque eiusque sociis …; … vestros missos, id est Vullfardum et eius socium, …Kopfregest:  Item exemplar epistolae eiusdem papae ad dommum pippinus per [uul]fardum et socios eius derectae, ... . Hier stellt sich dieselbe Frage wie oben Anm. 3.
[16] Zu diesem Brief, s. Kehr, wie Anm. 3, S. 121-126; Oelsner, wie Anm. 2, S. 403-404. 
[17] Es folgt ein bericht über die Verhandlungen mit König Desiderius (s. Kehr, ebd., S. 155-156).
[18] Gewählt am 01. Februar 772.
[19] Zu diesen Ereignissen, s. Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, von Sigurd Abel, I, 2. Auflage bearbeitet von Bernhard Simson (Jahrbücher der deutschen Geschichte), Leipzig, 1888, S. 140; Classen, Peter, Karl der Grosse, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des Karolingischen Kaisertums (nach dem Handexemplar des Verfassers, hrsg. von Horst Fuhrmann und Claudia Märtl) (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, 9), Sigmaringen, 1985, S. 14-16.
[20] Vita Hadriani, Liber Pontificalis, ed. L. Duchesne, I, Paris, 1886 (Bibliothèque des Ecoles françaises d'Athènes et de Rome), c. 26 S. 494; Guyotjeannin, Olivier, Le Moyen Age (Ve-XVe siècle) (Archives de l'Occident, 1), Paris, 1992, S. 170, mit französischer Übersetzung S. 175 (siehe auch S. 167-168).
[21] Vermutlich der Bischof von Ostia (bei Rom), der später Bischof von Amiens wurde (Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastiques, 20, Paris, 1984, Sp. 647-649).
[22] Zum Begriff consiliarius, s. Bullough, Donald, Albuinus deliciosus Karoli regis. Alcuin of York and the Shaping of the Early Carolingian Court (Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, Sigmaringen, 1984, 73-92), S. 76 und Anm. 11.
[23] Eine am 10. Mai 775 ausgestellte Urkunde Karls des Großen zugunsten Saint-Martin zu Tours (Gasnault, Pierre, avec une étude paléographique par Jean Vezin, Documents comptables de Saint-Martin de Tours à l'époque mérovingienne [Collection de documents inédits sur l'histoire de France], Paris, 1975, S. 195-199; MGH DK I, Nr. 97 S. 139-140) erwähnt den Abt Hitherius. Es wird also allgemein angenommen, dass Vulfardus, kurze Zeit nachdem sein Kloster zahlreiche Güter in Italien erhielt, verstarb. Aber Zweifel belasten diese Urkunde. Abt Hitherius ist also mit Sicherheit erst ab 781 bezeugt (s. Bullough, wie Anm. 22, S. 76-77 Anm. 12).  
[24] Der Abt ist nicht als Petent genannt. Vielleicht gehörte Vulfardus zu den abbates, die in der Osterzeit dieses Jahres Rom besucht haben (Liber pontificalis, wie Anm. 20, S. 496).
[25] MGH DK I, Nr. 81 S. 115-117; s. BM² 167 S. 76; Mabille, Emile, La pancarte noire de Saint-Martin de Tours brûlée en 1793, restituée d'après les textes imprimés et manuscrits, Paris, Tours, 1866, Nr. 29 S. 77-78.
[26] Zu den Fragen, die diese Urkunde aufwirft, s. Bullough, Albuinus, S. 76 Anm. 12.
[27] Sirmione (Italien, Lombardei, Prov. Brescia).
[28] Gardasee.
[29] Frau des Königs Desiderius.
[30] Vallecamonica, Tal nord-westlich von Brescia, vom Passo del Tonale bis zu dem See Iseo; s. Stoclet, Alain, Autour de Fulrad de Saint-Denis (v. 710-784) (Ecole Pratique des Hautes Etudes. Sciences historiques et philologiques. 5. Hautes Etudes médiévales et modernes, 72), Genève-Paris, 1993, S. 202 und Anm. 3.
[31] Trentino.
[32] Passo del Tonale, zwischen Lombardei und Trentino alto Adige (Gemeinde Vermiglio).
[33] Brescia.
[34] Bergamo.
[35] Der Fluss Po (Pô).
[36] Tessin.
[37] Migne, J.-P., Patrologiae cursus completus, Series latina, 104, 1851, col. 1069-1070; s. BM² 631 p. 264.
[38] Verlorene Urkunde, s. BM² Verl. Urk. Nr. 312 S. 858.
[39] Migne, ebd., col. 1214-1215; s. BM² 909 p. 360. Diese Urkunde wird von Karl dem Kahlen am 05. Januar 844 oder 845 mit Erwähnung der Äbte Autlandus, Vulfardus und Itherius bestätigt (Recueil des actes de Charles II le Chauve, roi de France, par Giry Arthur, Prou Maurice, terminé et publié sous la direction de Lot Ferdinand par Georges Tessier [Chartes et diplômes relatifs à l'histoire de France publiés par les soins de l'Académie des Inscriptions et Belles-Lettres], t. I, Paris 1948, Nr. 61 S. 173-177; s. Gasnault, wie Anm. 23, S. 195 Anm. 2).

30.09.2010