V U L F O A L D U S

bezeugt im Jahr 755

Am 29. Juli 755, in Compiègne[1] schenkt König Pippin dem unter der Leitung des Abtes Folleradus[2] stehenden Klosters Saint-Denis den Ort genannt ad Munte sancto Micaelo arcangelo[3] super fluvio Marsupiae[4] im Verdunois[5] mit seinem castellum und den Klerikern, die ihn betreuen. Dieser Besitz war Eigentum des Uulfoaldus[6], der dort ein castellum bauen wollte, um die Feinde des Königs aufnehmen zu können[7]. Wegen Hochverrats und Verschwörung gegen Pippin angeklagt und zum Tode verurteilt, wurde er auf Bitten des Abtes Folleradus und seiner Mönche begnadigt[8]. Er musste aber den befestigten Ort dem König überliefern[9].
Die Urkunde erwähnt kein Kloster[10] und scheint damit die Überlieferung des 11. Jahrhunderts[11], die Gründung und Stiftung des Klosters St. Mihiel dem Grafen Wolfaudus und seiner Frau Adalsinda Anfang des 8. Jahrhunderts zuschreibt[12], im Widerspruch zu stehen.


[1] Original. Chartae latinae antiquiores. Facsimile-Edition of the latin charters prior to the ninth century, ed. by Albert Bruckner and Robert Marichal - fortan ChLA -, part XV: France III, publ. by Hartmut Atsma a Jean Vezin, Dietikon-Zurich 1986, Nr. 599 S. 22-25. Andere Drucke in Auswahl: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Grossen, bearb. von Engelbert Mühlbacher u. a., in: Monumenta Germaniae historica, Diplomatum Karolinorum 1, Hannover 1906, Neudruck München 1991 – fortan MGH DD Karol. 1 -, Nr. 8 S. 12-13; Tardif Jules, Monuments historiques, in: Archives de l'Empire. Inventaires et documents publiés par ordre de l'Empereur sous la direction de M. le Marquis de Laborde, Paris 1866, Nr. 56 S. 47-48;  Félibien Michel, Histoire de l'abbaye royale de Saint-Denys en France, Paris 1706, réimp. 1973, pièces justificatives, Nr. 36 S. XXV-XXVI. Vgl. Böhmer Johann Friedrich, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 715-918, neubearb. von Engelbert Mühlbacher, vollendet von Johann Lechner (Innsbruck ²1908), mit Ergänzungen von Carlrichard Brühl – Hans H. Kaminsky, Hildesheim 1966, Nr. 78 S. 41; Hübner Rudolf, Gerichtsurkunden der Fränkischen Zeit, I, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanische Abtheilung 12, 1891, Anhang, 1-118, Nr. 599 S. 13.
[2] Fulradus, Abt von Saint-Denis von 748/750 bis 784. Sein Vorgänger, Amalbertus, ist nur durch eine Urkunde vom 11. Februar 748 nachgewiesen (siehe Artikel Amalbertus). Diesem Abt, der nur kurz dieses Amt bekleidet haben muss, folgte Fulradus, der erstmals am 17. August 750 urkundlich genannt ist (Die Urkunden der Arnulfinger, hg. von Heidrich Ingrid in: Monumenta Germaniae historica, Diplomata maiorum domus regiae e stirpe Arnulforum, Hannover 2011, Nr. 21 S. 45-48).
[3] Frankreich, Saint-Mihiel, département Meuse, arrondissement Commercy, chef-lieu canton. Zur Lage des ursprünglichen Klosters, s. Stoclet, Alain, Autour de Fulrad de Saint-Denis (v. 710-784), in: Ecole Pratique des Hautes Etudes. Sciences historiques et philologiques. 5. Hautes Etudes médiévales et modernes 72, Genève-Paris 1993, S. 73 Anm. 2.  
[4] Die Marsoupe, Nebenfluss der Meuse.
[5] Verduner Gegend, vgl. Karte in: Atlas de la France de l'an mil. Etat de nos connaissances, sous la dir. de Parisse Michel avec l'aide technique de Leuridan Jacqueline, 1994, S. 51.
[6] Uulfoaldus ist ohne Zweifel ein Mitglied einer mächtigen austrasischen Familie, die durch Konkurrenz mit jener der Arnulfinger/Pippiniden gekennzeichnet ist (vgl. Stoclet, wie Anm. 3, S. 64-67; Ebling Horst, Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches von Chlothar II [613] bis Karl Martell [741], in: Beihefte der Francia 2, 1974, Nr. 313 und 314 S. 241-246). Vgl. unten Anm. 12.
[7] Vielleicht gehörte Uulfoaldus zu den primores Francorum, die sich dem Plan Pippins gegen die Langobarden vorzugehen, widersetzen (Einhard, Vita Karoli Magni. Das Leben Karls des Großen, lat./dt., Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Scherabon Firchow, 1968, Ausgabe 2010 c. 6 S. 14-15; vgl. Stoclet, ebd., S. 62-63; aber auch Oelsner Ludwig, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter König Pippin, in: Jahrbücher der Deutschen Geschichte 4, Leipzig 1871, S. 238, der vermerkt, dass solche Vermutungen wertlos seien, da sie der Gewissheit entbehren).
[8] Zu den möglichen Gründen Fulrads Verhalten in dieser Angelegenheit, vgl. Stoclet, ebd., S. 67-69.
[9] Vgl. Oelsner, wie Anm. 7, S. 238 und Anm. 7.
[10] Stoclet, ebd., S. 71-75, erwähnt die Möglichkeit, dass Pippins Schenkung sich nicht auf das Kloster, das gesondert bestanden haben soll, erstreckte. Dies Hypothese wird von Gillen Anja, Saint-Mihiel im hohen und späten Mittelalter. Studien zu Abtei, Stadt und Landesherrschaft im Westen des Reiches, in: Trierer historische Forschungen 52, 2003, S. 48 Anm. 19, als unwahrscheinlich angesehen.
[11] Stoclet, S. 60-75 et Gillen, S. 45-52, versuchen, ohne Erfolg diese Kontroverse zu lösen und kommen auch nicht zu denselben Ergebnissen. Außerdem suggeriert die Wahl des hl. Michael als Kirchenpatron (vgl. Stoclet, S. 63-64 Anm. 2) sowie die Erwähnung eines Abtbischofs in Karls des Gr. Urkunde von 772, die aber ohne Zweifel wenigstens interpoliert ist (MGH DD Karol. 1, Nr. 68 S. 99-100; dazu Parisse Michel, In media Francia: Saint-Mihiel, Salonnes et Saint-Denis VIIIe-XIIe siècles, in: Media in Francia ... Recueil de mélanges offerts à Karl Ferdinand Werner à l'occasion de son 65e anniversaire ..., 1989, 319-343, hier S. 332-333; Ders., Saint-Denis et ses biens en Lorraine et en Alsace, in: Bulletin philologique et historique, Paris 1967, 233-256, hier S. 241-244; Oexle Otto Gerhard, Das Kloster Saint-Mihiel in der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131 [NF 92], Stuttgart 1983, 55-69, hier S. 60-62; Stoclet, S. 70 Anm. 1) eine irische Gründung (Wilsdorf Christian, Le monasterium Scottorum de Honau et la famille des ducs d'Alsace au VIIIe siècle. Vestiges d'un cartulaire perdu, in: Francia 3, 1975, München 1976, 1-87, hier S. 54; Frank Hieronymus, Die Klosterbischöfe des Frankenreiches, in: Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 17, Münster in Westfalen 1932, S. 143-144). Vgl. neuerlich online die vorsichtige Stellungnahme von Michèle Gaillard und Anne Wagner, Traduction de la chronique de saint Mihiel (XIe siècle), 2005, S. 2-5.
[12] Der Vulfoaldus, der wegen einer feindlichen Handlung gegen den König seiner Besitzungen verlustig ging, war laut Oelsner, wie Anm. 7, S. 237 aus chronologischen Gründen keineswegs derselbe wie jener Wolfaudus, der als Gründer und Stifter des Klosters St. Mihiel gilt und 708 und 722/723, vielleicht noch 728 belegt ist (Lesort André, Chronique et chartes de l'abbaye de Saint-Mihiel, in: Mettensia 6. Mémoires et documents publiés par la Société Nationale des Antiquaires de France, Paris 1912, S. 34, Nr. 1-3 S. 39-54; ChLA, part XIX: France VII, publ. by Hartmut Atsma and Jen Vezin, Dietikon-Zurich, 1987, Nr. 671 S. 7), aber sicherlich verwandt (vgl. Heidrich Ingrid, Titulatur und Urkunden der arnulfingischen Hausmeier, in: Archiv für Diplomatik, 11/12, Köln Graz, 1965/66, 71-279, hier S. 218 Anm. 693). Dazu oben Anm. 6.

07.01.2015