V U I D O

Abt von Fontenelle (= Saint-Wandrille), bezeugt 738 (?) oder 743/744 (?)
Abt von Saint-Vaast (Arras)

Nach den Angaben der Gesta[1] sanctorum patrum coenobii Fontanellensis[2] leitete Vuido, propinquus[3] Karoli principis, das Kloster Saint-Vaast (d'Arras) fast ein Jahr lang wie auch das Kloster Fontenelle[4]. Beschrieben wird er als saecularis clericus[5], der stets bewaffnet lieber auf die Jagd ging[6], als sich seinen geistliche Pflichten zu widmen[7]. Unter der Anklage an einer Verschwörung gegen Karl Martell[8] teilgenommen zu haben[9], wird er verhaftet und durch Enthauptung im Vermandois[10] hingerichtet und dort auch begraben[11].
Außerdem berichten die Gesta[12], dass ein quidam paterfamilias nomine Raginfridus zugunsten Widos eine portionem … de uilla qui dicitur  Laxtra[13] , anno I eiusdem regis Hilderici, quae sita est in pago Constantino[14] schenkt[15].
Die Abtsliste von Saint-Vaast aus dem 9. Jahrhundert[16] sowie das spätere Chronicon Vedastinum[17] nennen kommentarlos die Namen Gigosleus, Ragemfridus et Wido[18] zwischen denen von Madelbertus[19] und Romanus[20].


[1] Pradié Pascal (texte établi, traduit et commenté par), Chronique des abbés de Fontenelle (Saint-Wandrille) (Les classiques de l'histoire de France au Moyen Age, 40), Paris, 1999, S. 90-93 (lat./fr.); Lohier F. et Laporte J., Gesta Sanctorum Patrum Fontanellensis coenobi (Gesta abbatum Fontanellensium), édition critique, Rouen-Paris, 1936, S. 56-58: Vuido sortitur locum regiminis ab anno dominicae incernationus DCCXXXVIII, qui erat annus primus Hilderici nouissimi regis, Karoli autem principis XXVI per annum unum. Hic namque propinquus Karoli principis fuit, qui etiam monasterium Sancti Uedasti, quod est in Atrebatensi territorio, iure regiminis tenuit annum I sicut et istum. Die Abfassung dieses Teiles der Gesta könnte am Anfang des 9. Jahrhunderts erfolgt sein (hierzu Becher Matthias, Die Chronologie der Äbte von Saint-Wandrille in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Studien zu den Gesta abbatum Fontanellensium, in: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag, hg. von Sabine Happ und Ulrich Nonn, Berlin, 2004, S. 27; Pradié, a.a.O., S. XXV-XXVIII; Wood Ian, Saint Wandrille and its Hagiography, in: Church and chronicle in the Middle Ages: essays presented to Taylor John, editet by Wood Ian and Loud G. A., London and Rio Grande, 1991, S. 4-5; Lohier/Laporte, a.a.O., S. XXXI-XXIII).
[2] Der Autor bemüht sich mehrere Zeitsysteme zu verwenden, um das Jahr der Erhebung eines Abtes und seine Amtsdauer zu datieren. Da er aber offensichtlich mit dieser Aufgabe maßlos überfordert war, passen die Angaben untereinander selten zusammen, wie auch hier, was bis heute zu kontroversen Datierungsversuche geführt hat. Die widersprüchlichen Inkarnations- und Königsjahre für Widos Erhebungsdatum sind sicherlich darauf zu führen, dass dem Chronisten das Interregnum von 737 bis 743 zwischen Theuderich IV († 737) und Childerich III. (seit 743) entgangen ist. Herrscht bis hier Einstimmigkeit, gehen dann die Meinungen auseinander: Die einen geben dem Regierungsjahr Childerichs (743/744) Vorrang, wo noch dazu die Gesta eine Schenkung zugunsten Widos anno I eiusdem regis Hilderici festgehalten haben (s. unten Anm. 15), die anderen bleiben beim Jahr 738 wegen der Erwähnung des princeps Karl († 741), wobei der Autor der Gesta sich für die Hinrichtung Widos (s. unten Anm. 11) auf einen Augenzeugen beruft (zu den letzten neuerlich Becher, w. o. Anm. 1, S. 27-31, 40-42, der aber verschiedene mögliche Vorschläge machen muss, um den Widerspruch der Gesta aufzulösen; zu den ersten, auch neuerlich Glatthaar Michael, Bonifatius und das Sakrileg. Zur politischen Dimension eines Rechtsbegriffs [Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, 17], Frankfurt a. M., 2004, S. 287-289. Die kontroverse Literatur zu diesem Datum befindet sich in beiden Werken, deswegen gehe ich hier nicht weiter darauf ein).
[3] Diese Bezeichnung ist vage: Handelt es sich hier um eine kognatische oder um eine agnatische Beziehung (vgl. Le Jan Régine, Famille et pouvoir dans le monde franc (VIIe-Xe siècle). Essai d'anthropologie sociale, Paris, 2003, S. 162-167 mit Tafel der Verwandschaftsbezeichnungen S. 176; Joch Waltraud, Legitimität und Integration. Untersuchungen zu den Anfängen Karl Martells (Historische Studien, 456), Husum, 1999, S. 58 Anm. 325)? Insofern lässt sich über den Grad dieser Verwandtschaft nichts Genaues sagen. Joch, ebda., S. 54-60, listet die Träger des Namens Wido zu Lebzeiten Karls auf. Dabei bemerkt sie, dass der Name für diese Zeit noch selten überliefert ist (S. 56 Anm. 305). Ihrer Meinung nach "hat (es) nun ... den Anschein, daß es sich bei allen hier genannten Widos um ein und dieselbe Person handelt, daß dieser Wido identisch ist mit Karls propinquus und schließlich, daß diese propinquitas zu Karl über seine Ehefrau Chrodtrud (zu dieser, s. Joch, S. 52-54; auch die Bemerkungen von Settipani Christian, Les ancêtres de Charlemagne. Addenda 1990: http://www.rootsweb.com/~medieval/addcharlFR.pdf.) entstanden ist (S. 55; s. auch Felten Franz J., Äbte und Laienäbte im Frankenreich. Studie zum Verhältnis von Staat und Kirche im früheren Mittelalter [Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 20], Stuttgart, 1980, S. 115 Anm. 18). Vuido wäre also personengleich mit dem comes dieses Namens, dem Bruder des Milo, Bischof von Trier (? und von Reims) (s. Glatthaar, w. o. Anm. 2, S. 290 Anm. 306 mit Literatur; Gauthier Nancy, L'évangélisation des pays de la Moselle, Paris, 1980, S. 363.Hlawitschka Eduard, in seinem Artikel "Widonen" im Lexikon des Mittelalters, 9, 1998, Sp. 72-74 betrachtet diese Gleichsetzung als ungewiss). Dazu die Vorbehalte unten Anm. 11. Auch nicht zu vergessen, dass die Gesta Vuido als saecularis clericus bezeichnen (s. unten Anm. 5)."Ob die Funktion eines clericus mit der eines comes in diesem Jahrzehnt kombinierbar war, wage ich nicht zu entscheiden" (freundliche Mitteilung von Ingrid Heidrich, Bonn, 20.07.2007).
[4] Diese Gleichzeitigkeit kann Anlass zu Misstrauen geben, wird aber ziemlich kommentarlos akzeptiert (vgl. Becher, w. o. Anm. 1, S. 42 und Anm. 119).
[5] Die Gesta differenzieren zwischen saecularis clericus und saecularis habitus. Sollte man einen Irrtum in der Bezeichnung ausschließen, war also Vuido kein Laienabt, wie es oft geschrieben wird (vgl. Felten, w. o. Anm. 3, S. 114-116 und Anm. 16).
[6] Glatthaar, w. o. Anm. 2, S. 288-290, gibt zu bedenken, dass, erhielt er die beiden Klöster tatsächlich im Jahr 743, Wido mit seinem laikalen Lebensstil Verbote Karlmanns Concilium germanicum vom 21. April ?742 übertreten hat (zum Datum dieses Konzils, s. Glatthaar). Könnte da ein Zusammenhang sein mit der von den Gesta angegebenen Verschwörung?
[7] S. Joch, w. o. Anm. 3, S. 57 Anm. 313.
[8] Sollte man 743 als Zeiteinsatz nehmen, würde es sich um Karlmann handeln (s. Glatthaar, w. o. Anm. 2, S. 290).
[9] In den anderen Quellen wird von der Verschwörung nicht berichtet und man weiß auch nichts über ihre Hintergründe (hierzu schlägt Joch, w. o. Anm. 3, S. 59-60, eine Erklärungsmöglichkeit vor; s. auch Werner Matthias, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger [Vorträge und Forschungen, Sonderband 28], Sigmaringen, 1982, S. 312 und Anm. 595).
[10] Der Chronist berichtet, dass er ad regiam domum beordert wurde (hierzu die Vorschläge von Joch, w. o. Anm. 3, S. 54 und von Lohier/Laporte, w. o. Anm. 1, S. 58 Anm. 137).
[11] Pradié, w. o. Anm. 1, cap. 7, S. 90-93 (lat./fr.). Der Autor beruft sich auf einen Augenzeugen, ... patris, qui ipsum videre poterat…. Auf den ersten Blick scheint ein Irrtum ausgeschlossen, da die Verschwörung dazu noch ein Abt des Klosters, in dem der Chronist arbeitet, betrifft. Geht man davon aus, dass die Nachricht der Wahrheit entspricht, wäre Vuido 739 enthauptet worden. Zum selben Jahr, in dem die Gesta Raginfridus Widos Nachfolge antreten lassen, übernehmen sie den Bericht der Annales Mettenses priores (ad a. 739, S. 30; vgl. BM² 41b, S. 18-19) mit Karls Feldzug in die Provence (Pradié, ebda., cap. 8, S. 94-95; vgl. Joch, w. o. Anm. 3, S. 53-54; Becher, w. o. Anm. 1, S. 40-43; Raach Theo, Kloster Mettlach/Saar und sein Grundbesitz [Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 19], Mainz, 1974, S. 29-30). Aber hier wie oben (s. Anm. 2) spricht gegen diesen Zeitansatz, dass die Gesta eine Urkunde erwähnen, die anno I regis Hilderici (= 743/744, s. unten Anm. 15) datiert ist. Akzeptiert man diese Zeitangabe, dann hätte die Verschwörung nicht gegen Karl, sondern gegen seinen Sohn Pippin stattgefunden (hierzu Werner, w. o. Anm. 9, S. 312-313 Anm. 596; Lohier/Laporte, w. o. Anm. 1, S. 56-57 Anm. 134 und 137). Becher, w. o. Anm. 1, S. 40-42, um den Widerspruch zu enträtseln, schlägt einige Lösungen vor, die ermöglichen würden, am Jahr 739 festzuhalten (vgl. Pradié, w. o. Anm. 1, S. 214, der beim Jahr 743/744 bleibt; s. auch die Zweifel von Felten, w. o. Anm. 3, S. 116 Anm. 19). Sollte man dieses Jahr 739 beibehalten, so stellt sich die berechtigte Frage, ob Karl Milos Bruder - wenn überhaupt Vuido sein Bruder war (s. oben Anm. 3) - hätte enthaupten lassen, bedenkt man, welche bedeutende Persönlichkeit Milo im Umkreis Karls war. Eine Lösung bietet Glatthaar, w. o. Anm. 2, S. 289-292: Da Saint-Vaast, Fontenelle sowie der Vermandois nach Karls Tod in Karlmanns Reichsteil lagen, denkt er an den Beginn der Konfrontation zwischen Karlmann und Pippin. "Die Annahme, dass Karlmann und nicht Karl Martell der Motor der Absetzung Widos war, hat einiges für sich, zumal Wido auch in St. Vaast abgesetzt wurde, dem Karlmann 745 eine Güterschenkung machte (Heidrich Ingrid, Die Urkunden der Arnulfinger, Bad Münstereifel, 2001, Deperditum Nr. 82a nur in der Internet-Edition)  - vielleicht als "Bonbon" für den oktroyierten Abtswechsel?? Milo hingegen war Gefolgsmann Pippins nach dem Tod Karl Martells (Heidrich, ebda., Dep. Nr. 67 und 89 S.159-160, 168). Natürlich ist ein Gegensatz zwischen Milo und Wido nicht ausgeschlossen, denkbar ist aber auch, dass wenn Widos Absetzung durch Karlmann erfolgte, dies zum wie immer festzulegenden Zeitpunkt der Absetzung ein Indiz für den Gegensatz zwischen Karlmann und Pippin und für den versuchten Zugriff Karlmanns auf Saint-Wandrille ist" (freundliche Mitteilung von Ingrid Heidrich, Bonn, 20.07.2007).
[12] Pradié, w. o. Anm. 1, S. 92-93 (lat./fr.); Lohier/Laporte, w. o. Anm. 1, S. 58.
[13] Lestre, Manche, arr. Cherbourg, cant. Montebourg.
[14] Cotentin.
[15] Entspricht dem Zeitabschnitt vom 16. Februar/02. März 743 bis 15. Februar/01. März 744 (s. Weidemann Margarete, Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert, in: Francia, 25/1 [1998], Sigmaringen, 1999, S. 209-211).    
[16] MGH SS XIII,  S. 382: Madalbertus… – Inter Ragemfridum et Widonem et Gogisleum annos 2 – Romanus
[17] MGH SS XIII, S. 702 (vgl. Kéry Lotte, Die Errichtung des Bistums Arras 1093/1094 [Beihefte der Francia, 33], Sigmaringen, 1994, S. 219 Anm. 49, 258-259): Madelbertus … Inter Goisleum, Ragenfridum et Widonem abbatiam patris Vedasti annis rexerunt 2 … Romanus (zum Jahr 745).
[18] Die Gesta setzen Widos Abtszeit in Saint-Vaast nach Gogislenus und geben ihm Romanus als Nachfolger (Pradié, w. o. Anm. 1, S. 92-93). Die Gallia Christiana, Band 3, 1876, Sp. 375 gibt als Sterbedaten der Äbte Ragenfridus, Gogislenus, Guido et Romanus beziehungsweise 731, 738, 738/739 und 742 an.
[19] Das Chronicon nennt ihn zum Jahr 729, die Abtsliste gibt ihm eine Abtszeit von 14 Jahren (MGH SS XIII, S. 382 und 701).
[20] Das Chronicon (S. 701) nennt Romanus zum Jahr 745.

22.12.2008