W I D O

Eigentümer im Elsass (vor 768)

Mit der am 23. September 768 im Kloster St. Denis ausgestellten Urkunde[1] bestätigt  König Pippin seinem getreuen Kaplan und Erzpriester Fulradus[2] auf dessen Bitte die Letzterem[3] von Uido[4] übertragenen Güter[5] in Guémar[6], Audaldovillare[7], Andolsheim[8], Sundhoffen[9], Grussenheim[10] und Ribeauvillé[11]. Die Rechtslage war folgende: Als Fulradus gefährlich erkrankte, übergab er diese Güter[12] im Elsass und in der Ortenau[13] dem König, damit er sie ad loca sanctorum[14] zukommen lasse[15]. Als Fulradus jedoch genesen sei, habe Pippin ihm die Güter wieder zurückgegeben. Denoch erbittet Fulradus darüber zur Absicherung gegen jeweilige andere Ansprüche[16] eine königliche Bestätigungsurkunde.
Diese Schenkung ist in verschiedenen Fassungen Fulrads Testaments von 777 mit kleinen Variationen übernommen worden[17].


[1] Original. Chartae latinae antiquiores. Facsimile-edition of the latin charters prior to the ninth century, ed. by Albert Bruckner (†) and Robert Marichal, part XV: France III,  publ. by Hartmut Atsma, Jean Vezin, Dietikon-Zürich 1986, Nr. 602 S. 34-37. Anderer Druck in Auswahl: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Grossen, bearb. von Engelbert Mühlbacher u. a., in: Monumenta Germaniae historica, Diplomatum Karolinorum 1, Hannover 1906, Neudruck München 1991 – fortan MGH DD Karol. 1-,  Nr. 27 S. 37-38. Vgl. Sonzogni Le chartrier de l'abbaye de Saint-Denis en France au haut Moyen Age. Essai de reconstitution, in: Pecia. Resources en médiévistique 3, Saint-Denis 2003, Nr. 104 S. 118; Bruckner Albert, Regesta Alsatiae aevi Merovingici et Karolini (496-918), I. Quellenband, Strasbourg-Zürich 1949, Nr. 210 S. 129; Böhmer Johann Friedrich, Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 715-918, neubearb. von Engelbert Mühlbacher, vollendet von Johann Lechner (Innsbruck ²1908), mit Ergänzungen von Carlrichard Brühl – Hans H. Kaminsky, Hildesheim 1966, Nr. 109 S. 55. Prof. Dr. Ingrid Heidrich hat mir freundlicherweise am 23.08.2012 eine E-Mail über die Rechtslage in dieser Urkunde zukommen lassen.   
[2] […] quatenus fideli deo propitio nostro atque viro venerabili Fulrado capellano nostro sive archypresbitero […].
[3] Fulradus, Abt von St. Denis von 748/750 bis 784. Sein Vorgänger, Abt Amalbertus, der nur kurz dieses Amt bekleidet haben muss, ist nur durch eine Urkunde vom 11. Februar 748 belegt (Die Urkunden der Arnulfinger, hg. von Heidrich Ingrid, in: MGH Diplomata maiorum domus regiae e stirpe Arnulforum, Hannover 2011, Nr. 18 S. 41-42; siehe Artikel "Amalbertus, Abt von St. Denis"). Ihm folgt dann Fulradus, der erstmals am 17. August 750 urkundlich genannt ist (ebd., Nr. 21 S. 45-48).
[4] […] homo aliquus nomine Uuido […]. Der Name ist nicht nur charakteristisch für die Sippe der Widoniden (Literatur bei Stoclet Alain, Autour de Fulrad de Saint-Denis v. 710-784, in: Ecole pratique des hautes Etudes. Sciences historiques et philologique 5. Hautes études médiévales et modernes 72, Genève-Paris 1993, S. 113-114 Anm. 1), sondern kommt ziemlich oft in den Quellen des 8. Jahrhunderts vor (Förstemann Ernst, Altdeutsches Namenbuch. 1. Band: Personennamen, Bonn, 1900, Neudruck München, 1966, Sp. 1563). Stoclet, ebd. S. 113-123, erläutert, weshalb es nicht möglich sei, Wido mit einiger Sicherheit dieser Sippe, genauso wenig wie dem Beisitzer des könglichen Gerichts, das 759 eine Klage der Vertreter und des Abtes von St. Denis gegen den Grafen von Paris Gerardus zu verhandeln hatte (Urkunde vom 30. Oktober 759: Original, wie Anm. 1, Nr. 600 S. 26-29; siehe Artikel "Wido, 759"), zuzurechnen. Gegen letztere Hypothese kann noch hervorgehoben werden, dass der Beisitzer vermutlich zu der oberen Führungsschicht gehört habe, wogegen Wido hier nur als homo aliquus bezeichnet wird.
[5] […] Praecipientes enim, ut praedictus vir venerabilis Fulradus capellanus noster ipsas res, quas memoratus Uido ei tradedit, id est Ghermari, Audaldouillare, Ansulfishaim, Suntof, Grucinhaim, Ratbertouillare uel quicquid per ipsius Fulrado praecaria praedictus Uuido possedere uidetur, […]. Hier werden die Güter als von Fulrad erhaltene Prekarie bezeichnet, weiter unten als Erbgut (vgl. Anm. 12). Zu dieser Prekarie, siehe Stoclet, wie Anm. 4, S. 77-80.
[6] Frankreich, Département Haut-Rhin, Arrondissement und Canton Ribeauvillé.
[7] Zu dieser Zeit bildeten vielleicht Orschwiller (Bas-Rhin, arr. Sélestat-Erstein, cant. Sélestat) und Saint-Hippolyte (deutsch: St. Pilt; Haut-Rhin, arr. und canton Ribeauvillé) eine Einheit, das genannte Audaldovillare. Siehe die Urkunde Karls d. Gr. vom 14. September 774:  […] in loco qui dicitur Fulradouilare infra finis Audoldouilare cellam aedificasset … ubi beatissimus et sanctus Yppolitus corpore requiescit […] (MGH DD Karol. 1, Nr. 84 S. 121).
[8] Haut-Rhin, arr. Colmar, chef-lieu cant.
[9] Ebd., cant. Andolsheim.
[10] Ebd.
[11] Ebd., chef-lieu d'arr.
[12] Die Güter werden hier als Erbe Widos bezeichnet.
[13] […] quicuqid in Alsacense et in Mordenaugia habere visus est […]: Die Mordenaugia, dessen "M" erst viel später abfiel, um Ortenau genannt zu werden, erstreckt sich von der Oos bei Baden-Baden bzw. dem Unterlauf der Murg im Norden bis zum Bleichbach bei Herbolzheim im Süden, das bereits zum Breisgau gehört, mit ihrer heutigen Metropole Offenburg (Karte 2 bei Stoclet, wie Anm. 4, S. 600).
[14] Ungenannt.
[15] Eine Erklärung zu dieser Übergabe liefert Stoclet, ebd., S. 110-111.
[16] […] ex permisso nostro absque ullius iudicis vel fisci inquietudine sive extra ipsius Uidone haearedes refragatione […].
[17] Chartae latinae antiquiores, wie Anm. 1, part XVI: France IV, Nr. 623 S. 24: […] Similiter uillas et loca, quae Uuido mihi tradidit, Gairmari, Audaldo uillare, Radberto uillare, Grusinhaim, Ansulfishaim, Scaferishaim (Schaeffersheim, Bas-Rhin, arr. Sélestat-Erstein, cant. Erstein) et reliquas res per loca diversa, tam in Alisacius quamque in Mordinnauia, quae mihi tradidit et per mea prestaria modo usufructuario aliquas habet, […] und Nr. 624 S. 32, wo noch Uidensola (Widensohlen, Haut-Rhin, arr. Colmar, cant. Andolsheim) hinzukommt. Vgl. Sonzogni, wie Anm. 1, Nr. 126 und 127 S. 130.

25.08.2012 , überarbeitet 10.04.2015