W I B E R T U S

vielleicht Graf zur Zeit König Pippins

Laut der im 11. oder sogar im 12. Jahrhundert verfassten Vita S. Hiltrudis[1] hat der aus dem Poitou stammenden und mit der edlen Ada[2] verheirateten Graf Wibertus[3] wegen der feindlichen Handlungen, die ihn umgaben[4], von König Pippin Güter zwischen Thiérache und Hainaut[5] erhalten. Dort gründete er ein Männerkloster[6] in Liessies[7], desen Leitung er seinem Sohn Gontardus[8] übertrug. Eine seiner Töchter, Hiltrudis, zog sich in dieses Kloster zurück und wurde dort begraben[9]; die andere heiratete Hugo, princeps Burgundionum[10].


[1] Bekannt sind zwei Fassungen, die aber wenig voneinander abweichen: Acta Sanctorum ordinis S. Benedicti in saeculorum classes distributa, III/2, coll. Domnus Lucas d'Achery, ed. D. Johannes Mabillon, Paris, 1676, S. 420-428; AA. SS. Sept. VII, Antwerpen, 1755, S. 493-497. Vgl. das Chronicon Laetiense, verfasst um 1200, hg. v. J. Heller, MGH SS XIV S. 487-502. Helvétius Anne-Marie, Abbayes, évêques et laïques. Une politique du pouvoir en Hainaut au Moyen Age VIIe-XIe siècles, in: Crédit Communal – Collection Histoire IB-8° - Nr. 92, Bruxelles, 1994, S. 192-193 und Anm. 7). Helvétius, ebd., S. 192-196, kommt zum Ergebnis, dass die Vita als legendenhaft eingestuft werden muss. Aber der Verfasser hat sicherlich die Details seiner Schilderung über den Grafen Wibertus nicht erfunden (vgl. unten Anm. 3 und 4).
[2] Vermutlich in Anlehnung an die Ada, die Ende des 11. Jahrhundert dafür sorgte, dass sich in Liessies eine Mönchsgemeinschaft niederließ (Chronicon Laetiense, wie Anm. 1, S. 493-494; Helvétius, wie Anm. 1, S. 194).
[3] […] erat comes quidam nomine Wibertus, genere nobilis et actibus, pago Pictavensi ex nobilissima prosapia ortus, et uxor illi nomine Ada, ex francorum nobilioribus […]. Möglich wäre, dass der gleichnamige comes palatii, der von 752 bis 759 belegt ist, im Alter sich nach Liessies zurückzog und dort starb.
[4] […] Is hostilibus pressuris nimium circumventus […]: Sollte diese Angabe zutreffen, ist nicht auszuschließen, dass es sich um die aquitanischen  Kriege, die von 760 bis 768 dauerten, handelte. Dazu Rouche Michel, L'Aquitaine des Wisigoths aux Arabes 418-781. Naissance d'une région, Paris: Ecole des Hautes Etudes en Sciences sociales, 1983, S. 123-126; Knichel Martina, Geschichte des Fernbesitzes der Abtei Prüm in den heutigen Niederlanden, in der Picardie, in Revin, Fumay und Fépin sowie in Awans und Loncin, in: Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 56, Mainz, 1987, S. 56; Guérin Paul, Les Petits Bollandistes. Vies des saints, 11, 7e édition, Paris, 1876, S. 443-445.
[5] […] inter Theorascensem & Haganum pagum super fluvium Helpram adjacentes […]: Helpe majeure, Nebenfluss der Sambre. Zur Thierache, vgl. Nonn Ulrich, Pagus und Comitatus in Nierderlothringen. Untersuchungen zur politischen Raumgliederung im früheren Mittelalter, in: Bonner historische Forschungen 49, 1983, S. 124 und Anm. 602.
[6] Das Kloster wurde erst im 11./12. Jahrhundert (neu?)eingerichtet (Helvétius, wie Anm. 1, S 194-195).
[7] Lescias/Latiense territorium: Liessies, Frankreich, département Nord, arrondissement Avesnes-sur-Helpe, canton Solre-le-Château.
[8] Das Chronicon Lætiense (wie Anm. 1, S. 496) berichtet, dass der erste Abt nach der späteren (Neu?)Gründung Gonterus hieß (!)
[9] Hevétius A.-M, Artikel "Hiltrude" in: Dictionnaire d'histoire et de géographie historiques 24, Paris 1993, Sp. 572-573.
[10] Unbekannt.

06.09.2012, überarbeitet 26.09.2014