L E O D E G A R I U S[1]

Abt von Corbie (unbestimmte Abtszeit zwischen 739 und 769)

König Pippin bestätigt dem Kloster Corbie[2] im Gau von Amiens, das König Chlothar und Königin Balthild[3] erbauen ließen und mit Immunität ausstatteten[4], auf Antrag des Abtes Leodegarius[5] und nach Einsichtnahme der vorgelegten Bestätigungen seiner Vorgänger, der Könige Childerich[6], Theuderich[7], Chlodwig[8], Childebert[9] und Dagobert[10], die bisher bewahrte Immunität[11]. Die erhaltenen Abschriften der Urkunde sind ohne Eschatokoll eingetragen worden[12].
Leodharius abbas de Corbeia zählt zu den anwesenden Bischöfen und Äbten, die auf der Synode[13] von Attigny[14], die vermutlich im Jahr 762[15] zusammentrat, einen Gebetsbund unterzeichnen[16].
Laut Eintragung in einer Handschrift[17] kopiert Ingreus[18] auf Anordnung des Abtes Leutcharius[19] einen vom hl. Ambrosius verfassten Kommentar des Lukasevangeliums[20].
Die ältesten (12. Jahrhundert) Abtslisten von Corbie[21] bringen Leodegarius/Leodgarius zwischen Grimo[22] und Addo[23] mit dem 09. November als Todestag[24].
Ein Ledecharius peccator episcopus[25] steht unter den zahlreichen Zeugen der im Mai 757 in Compiègne[26] ausgestellten Urkunde des Metzer Bischofs Chrodegangus zugunsten des von Letzterem gegründeten Klosters Gorze[27].


[1] Leodgarius, Leodharius, Leutcharius. Name mehrerer Bischöfe im 7. und Anfang des 8. Jahrhunderts (Förstemann Ernst, Altdeutsches Namenbuch. I: Personennamen, Bonn 1900, ND München 1966, Sp. 1040).    
[2] Frankreich, département de la Somme, arrondissement d'Amiens, chef-lieu de canton. Das mächtige Kloster hatte zu dieser Zeit große kulturelle Bedeutung. 1792 wurde die Abtei aufgehoben.
[3] Königin Balthild, die ihren Sohn Chlothar III. an der Gründung beteiligte, ließ das Kloster erbauen (Cousin P., Les origines du monastère de Corbie [Corbie. Abbaye royale. Volume du XIIIe centenaire, Lille, 1963, 19-46], S. 19-22; Ganz David, Corbie in the Carolingian Renaissance, in: Beihefte der Francia 20, 1990, S. 14-19; Levillain Léon, Examen critique des chartes mérovingiennes et carolingiennes de l'abbaye de Corbie, in: Mémoires et documents publiés par la Société de l'Ecole des Chartes 5, 1902, S. 26-59). Siehe auch Die Urkunden der Merowinger, nach Vorarbeiten von Carlrichard Brühl †, hg. von Theo Kölzer unter Mitwirkung v. Martina Hartmann und Andrea Steildorf. In: MGH Diplomata regum Francorum e stirpe Merovingica, I, Hannover, 2001, Nr. 86 (unecht) und 96 S. 220-224 und 246-248; Levillain, ebd., Nr. 1 S. 213-217 und Nr. 2 S. 218-220.
[4] Die Urkunden der Merowinger II, wie Anm. 3, Deperditum Nr. 248 S. 603-604.
[5] […] venerabilis vir Leodegarius abba de monasterio Corbeia qui ponitur in pago Ambianensi, quem antecessores nostri Lotharius quondam rex vel Balthechildis quondam regina eorum opere a fundamento connstruere preceperunt [...].
[6] Deperditum Nr. 275 S. 616. Childerich II. war König des Gesamtreichs von 673 bis 675.
[7] Dep. Nr. 295 S. 623. Theuderich III. (675-691).
[8] Dep. Nr. 329 S. 636. Clodwig III. (691-694).
[9] Dep. Nr. 342 S. 640. Childebert III. (694-711). Laut einer von Levillain als glaubhaft eingestuften späten Nachricht haben die Könige Childebert III. und Dagobert II. (zu verbessern in Dagobert III.) dem Abt (Grimo, Vorgänger von Leodegarius) die Immunität bestätigt (Bibliothèque nationale de France, manuscrit latin 17757, ff. 1-123, hier fol. 6v°, Autograf, um 1530 geschrieben; s. dazu Levillain, wie Anm. 3, S. 73-74). Zum Chronisten Antoine de Caulaincourt, officialis von Corbie, s. Denoël Charlotte, Antoine de Caulaincourt (1482-1536/1540?), official de l'abbaye Saint-Pierre de Corbie, historien et possesseur de livres, in: Scriptorium 64/1, Bruxelles, 2010, 81-94.    
[10] Dep. Nr. 361 S. 647. Dagobert III. (711-715).
[11] Original verloren. Überlieferung: Chartular-Fragment (Ende 12./13. Jahrhundert) und Chartular genannt Mercator vom 13. Jahrhundert (vgl. Laurent Morelle, Les chartes de l'abbaye de Corbie 988-1196 [Ecole nationale des chartes, Positions des thèses 1982, S. 109-116], S. 115). Drucke: Levillain, wie Anm. 3, Nr. 16 S. 237-240; MGH DD Karol. 1, Nr. 29 S. 40-41; vgl. BM² 111 S. 56. Es scheint sich um die kaum verjüngte Abschrift der Urkunde von Dagobert III. [oben Anm. 10] zu handeln (Levillain, ebd., S. 79-82).
[12] Kann deswegen nur auf Pippins Königszeit (751/768) datiert werden, da die Eckdaten der Pontifikate Leodegars unmittelbarer Vorgänger und Nachfolger nicht bekannt sind (vgl. unten Anm. 22 und 23). Levillain, wie Anm. 3, S. 78-79 neigt zu einer Datierung in die Jahre 751 oder 752.
[13] […] synodus conventus […]. Diese Synode wurde von Bischof Chrodegang von Metz zusammengerufen.
[14] Codex aus dem 8. Jahrhundert: MGH Conc. II/1, S. 72-73. Von diesem Konzil besitzen wir heute nur eine noch im 8. Jahrhundert angefertigte Abschrift des Textes der Gebetsverbrüderung, die zwischen den anwesenden Bischöfen und Äbten mit Namen und Sitz abgeschlossen wurde. Dazu Hartmann Wilfried, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, in: Konziliengeschichte, hg. von Walter Brandmüller, Reihe A: Darstellungen, Paderborn, 1989, S. 79-81; Carlo de Clercq, La législation religieuse franque de Clovis à Charlemagne (507-814), Louvain-Paris, 1936, S. 143; Ewig Eugen, Saint Chrodegang et la réforme de l'église franque (Beihefte der Francia 3/2. Spätantikes und Fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften 1952-1973, hg. von Atsma Hartmut, 1979, 232-253 (= Saint Chrodegang. Communications présentées au colloque tenu à Metz à l'occasion du XIIe centenaire de sa mort, 1967, 25-53), S. 240-242.
[15] Der Gebetsbund ist nicht datiert, aber Oelsner Ludwig, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter König Pippin (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig, 1871, S. 474-477, hat das Jahr 762 als wahrscheinlich dargestellt. Die Schlussfolgerungen von Schmid Karl und Oexle Otto Gerhard, Voraussetzungen und Wirkung des Gebetsbundes von Attigny (Francia 2, 1974, 71-122), S. 107 Anm. 50 scheinen dieses Datum zu bestätigen. Siehe auch Heidrich Ingrid, Synode und Hoftag in Düren im August 747 (Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50, 1994, 415-440), S. 440.
[16] Aus der Reihenfolge der Namen dürfen keine Schlüsse gezogen werden (Hartmann, wie Anm. 14, S. 80 und Anm. 47; Fichtenau Heinrich, Die Reihen der Zeugen und Konsentienten [Heinrich Fichtenau, Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, 3: Lebensordnungen - Urkundenforschung - Mittellatein, Stuttgart, 1986, 167-185 = Palaeographica, diplomatica et archivistica. Studi in onore du Giulio Battelli - Storia e letteratura, 140/2, 1979, 41 ff.], S. 176-177; Werminghoff Albert, Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden [Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 24, 1899, 457-502], S. 469).
[17] Bénédictins du Bouveret, Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle, 4: Colophons signés, in: Spicilegii Friburgensis subsidia 5, 1976), S. 35-36; Codices Latini Antiquiores, ed. Lowe E. A., 11, Oxford, 1962, ND Osnabrück, 1982, Nr. 1602 S. 6.
[18] Quisquis legis ora pro scribtorem si dominum ihesum christum / adiutorem. Ingreus adiuuante domino scribsit (Olga Dobias-Rozdestvenskaja, Codices Corbeienses Leninopolitani, 1934, Fig. Nr. 7a, einzusehen online unter: www.mgh-bibliothek.de). Zu Ingreus, vgl. dies., Un scribe corbéien du VIIIe siècle (Paleographia latina 5, Oxford 1927, S. 50-51).
[19] Leutcharius abba iussit fieri (Codices, wie Anm. 18, Nr. 7).
[20] In der Paläografie wird eine Gruppe Handschriften als Leutcharius-Gruppe, Name, der auf die in Anm. 17 genannte Eintragung zurückzuführen ist, bezeichnet (dazu Ganz, wie Anm. 3, S. 42-43, 130-131; Vézin Jean, Les scriptoria de Neustrie, 650-850 [Beihefte der Francia 16/2. La Neustrie. Les pays au nord de la Loire ..., 2, 1989, 307-318], S. 315.
[21] Levillain, wie Anm. 3, S. 317-319; Guérard Benjamin, Polyptyque de l'abbé Irminon ou Dénombrement des manses, des serfs et des revenus de l'abbaye de Saint-Germain-des-Prés sous le règne de Charlemagne, 2: Polyptychum Irminonis abbatis sive Liber censualis antiquus monasterii Sancti Germani Pratensis, Paris, 1844, S. 338-339.
[22] Grimo ist im Jahr 739 bezeugt (Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV. Continuationes, hg. von Bruno Krusch [MGH Scriptorum rerum Merovingicarum II, 1888, 168-193], S. 178-179). Sonst ist kein datierbarer Beleg von diesem Abt bekannt. Vielleicht ist es derselbe, der als Erzbischof von Rouen im Jahr 744 erscheint (MGH Epist. sel. I, Nr. 57 S. 102-105, Nr. 58 S. 105-108).
[23] Im Jahr 769 bezeugt (MGH DD Karol. 1, Nr. 57 S. 83-84; Levillain, wie Anm.3, Nr. 18 S. 240-242). Addo wird wohl gleich nach seiner Amtserhebung die Bestätigung der Immunität beantragt haben.
[24] Leodegarius abbas, V id. nov.. Die Gallia Christiana 10, Paris, 1751, Sp. 1266 gibt den VI idus Novembris an, was ein Übertragungsfehler sein muss.
[25] Es ist manchmal vorgeschlagen worden, in Ledecharius den Abt Leodegarius von Corbie zu sehen: Dieser hätte die Diözese von Amiens vertreten oder verwaltet. Vgl. Ewig, wie Anm. 14, S. 244 Anm. 53; ders., Descriptio Franciae (ebd., 3/1, 1976, 274-322 [= Karl der Grosse, I, Düsseldorf, 1965, 143-177]), S. 316-317; Ganz, wie Anm. 3, S. 21-22; Oelsner, wie Anm. 15, S. 316 Anm. 11. Die Bestandteile (lemmata) der zwei Namen sind aber verschieden: leud/hari für Ledecharius, leud/gair für Leodegarius. Zu berücksichtigen ist, dass der Editor der Urkunden (siehe unten Anm. 27) die Abschriften als wenig zufriedenstellend bezeichnet. Die Gallia Christiana 10, Paris, 1751, Sp. 1157, 1266 kennt nur den Abt von Corbie. Die Bischofsliste von Amiens bringt Rimbertus, der 748 bezeugt ist, dann ein unbekannter Ailulfus und Georgius, der 769 in den Quellen erscheint (Duchesne L., Fastes épiscopaux de l'ancienne Gaule, III: Les provinces du Nord et de l'Est, Paris, 1915, S. 122, 128-129). Obwohl es nicht sicher ist, ob die Orthografie Ledecharius – Name, der nicht als selten bezeichnet werden kann, siehe Förstemann, wie Anm. 1, Sp. 1043-1044 – auch im Original stand, kann daraus keine Folgerung gezogen werden. Schließlich muss noch hervorgehoben werden, dass es wohl vielleicht für diese Zeit einen Bischof Leutherius gab, den eine nicht nachprüfbare Bischofsliste von Genf, die vielleicht für diesen Teil Ende des 10. Jahrhunderts verfasst wurde, vor einem Gosbertus anführt. Letzterer könnte der Diözese 769/770 vorgestanden haben (Louis Binz, Les évêques du diocèse de Genève [Helvetia sacra, I/3, 1980, 51-114], S. 51-54, 67; Duchesne L., Fastes épiscopaux de l'ancienne Gaule, I: Provinces du sud-est, 2e éd., Paris, 1907, S. 225-226).
[26] Ledecharius hat also am Konzil, das in Compiègne stattfand, teilgenommen (Hartmann, S. 76-78 und de Clercq, wie Anm. 14, S. 137-142).
[27] Original verloren. Chartular "de qualité médiocre" vermutlich Ende des 12. Jahrhunderts kompiliert: A. d'Herbomez, Cartulaire de l'abbaye de Gorze, in: Mettensia 2. Mémoires et documents publiés par la Société Nationale des Antiquaires de France, Paris, 1898, Nr. 4 S. 9-13; MGH Conc. II/1, S. 59-63; vgl. BM² 85a S. 44.

14.06.2011, überarbeitet 19.08.2012, 22.12.2012