W I T L A I C U S[1]

Abt von Fontenelle (= Saint-Wandrille) 753/754 - 787

Die Gesta sanctorum patrum coenobii Fontanellensis[2] berichten[3], dass Wido laicus[4], gebürtig im Oxmois[5], Sohn von Irmino und Vuitbolda, von Teutsindus[6] (Abt von St. Martin de Tours) erzogen und dessen camerarius[7] er wurde, bevor er das Amt des Abtes von Fontenelle[8] nach dem Tode des Abtes Austrulfus[9] "erkaufte"[10]. Der neue Abt vergibt viele Klostergüter[11] an regiis hominibus, wodurch das regulare Leben im Kloster ins Wanken geriet[12]. Obwohl der Verfasser ihn als fere gnarus litterarum bezeichnet[13], berichtet er über die Schenkung an sein Kloster von Büchern wie auch von sakralen Geräten, Textilien und Messgewändern[14]. Als die Klosterkirche dem Feuer zum Opfer fiel, richtete er sie wieder her mit viel Geschmack[15]. Die Gesta schildern noch, dass der Abt mit Bischof Remigius von Rouen[16] verfreundet war[17]. Während seiner Abtszeit kam König Pippin, um auf dem Grab des hl. Wandregisili[18] zu beten[19].
Er starb am 14. September 787[20] in Petreoponte uilla publica[21] und wurde in der St. Peter Kirche[22] bestattet[23].
Mit einer in Jupille[24] im März 756[25] ausgestellten Urkunde[26] verpflichten sich Adalbertus und Hagano[27] gegenüber Bischof Gauziolenus von Le Mans[28] zur Zahlung eines Census für die auf Befehl Pippins[29] aus dem Besitz des hl. Gervasius[30] zur Nutznießung erhaltenen Güter. Die Urkunde wird von einem Widolaicusabbas[31] unterschrieben.
Uuithlecus abbas de Funtanellas zählt zu den anwesenden Bischöfen und Äbten, die auf dem synodus conventus von Attigny, der vermutlich im Jahr 762[32] zusammengetreten ist, einen Gebetsbund unterzeichnen[33].


[1] Varianten: Uuithlecus, Widolaicus, Wido laicus. Zum Namen, vgl. Förstemann Ernst, Altdeutsches Namenbuch. I: Personennamen, Bonn 1900, Nachdruck München 1966, Sp. 1571.
[2] Pradié Pascal, Chronique des abbés de Fontenelle (Saint-Wandrille) (Les classiques de l'histoire de France au Moyen Age 40, 1999), S. 128-133 (lat./fr.); Lohier F. et Laporte J., Gesta Sanctorum Patrum Fontanellensis coenobi (Gesta abbatum Fontanellensium), Rouen-Paris 1936, S. 79-83: [...] abbas constituitur, anno II postquam idem Pippinus regale adeptus fuerat fastigium, qui est annus dominicae incarnationis DCCLIII, indictione VI [...]. Die Abfassung dieses Teiles der Gesta könnte am Anfang des 9. Jahrhunderts erfolgt sein (hierzu Becher Matthias, Die Chronologie der Äbte von Saint-Wandrille in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Studien zu den Gesta abbatum Fontanellensium, in: Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag, hg. von Sabine Happ und Ulrich Nonn, Berlin 2004, 25-47, hier S. 27; Pradié, ebd., S. XXV-XXVIII; Wood Ian, Saint Wandrille and its Hagiography, in: Church and chronicle in the Middle Ages: essays presented to Taylor John, ed. by Wood Ian and Loud G. A., London and Rio Grande 1991, 1-14, hier S. 4-5; Lohier/Laporte, ebd., S. XXXI-XXIII).
[3] Die Gesta werden nachfolgend nach Pradié (lat./fr.) zitiert.
[4] Es handelt sich hier um eine sicherlich gewollte Entstellung des Namens (vgl. unten die ungünstigen Angaben des Verfassers), denn die Gesta in den Absätzen VI § 2 undt IX § 4 (Pradié, S. 80 und 112) schreiben Vuitlaicus/Vuidolaicus (vgl. Voigt Karl, Die karolingische Klosterpolitik und der Niedergang des westfränkischen Königtums. Laienäbte und Klosterinhaber, in: Kirchenrechtliche Abhandlungen 90/91, Stuttgart 1917, S. 49-50; Felten Franz J., Äbte und Laienäbte im Frankenreich. Studie zum Verhältnis von Staat und Kirche im früheren Mittelalter, in: Monographien zur Geschichte des Mittelalters 20, Stuttgart 1980, S. 125 und Anm. 61; Lohier/Laporte, ebd., S. 79 Anm. 172).
[5] Pradié, S. 128. Oxmois oder Hiémois, früherer Gau, dessen Hauptort Exmes war (Frankreich, Département Orne, Arrondissement Argentan). Vgl. Musset L., La signification exacte du nom de région "Hiémois" du VIIe au XIIe siècle, in: Recueil d'Etudes normandes offerts en hommage à Michel Nortier (Cahiers Léopold Delisle 44, 1995), Paris 1996, S. 80-87.
[6] Teutsindus wara auch Abt von Fontenelle von 734/735 bis 738/739 oder 743 (Pradié, S. 74-89; vgl. Becher, wie Anm. 2, S. 39-40).
[7] Der Verfasser berichtet, dass er von Teutsindus die matricula (vgl. Pradié, S. 269; Niermeyer J. F., Mediae latinitatis lexicon minus. Lexique latin médiéval - français/anglais = a medieval Latin-French/English dictionary, ³1993, Leiden, S. 662) des Klosters als beneficium erhielt und sie einige Zeit nach dessen Tod behielt.
[8]Das Kloster Fontenelle, später Saint-Wandrille genannt, wurde im 7. Jahrhundert gegründet (Frankreich, Saint-Wandrille-Rançon Département Seine-Maritime in der Normandie, Arrondissement Rouen. Karte: Atlas de la France de l'an mil. Etat de nos connaissances, sous la direction de Michel Parisse avec l'aide technique de Jacqueline Leuridan, Paris 1994, S. 35). In seiner bewegten Geschichte wurde die Abtei mehrmals aufgegeben.
[9] Austrulfus starb im Jahr 753 (vgl. Becher, ebd., S. 44-45).
[10] Er soll diese Amt erhalten haben, indem er dem König und seinen Gefolgsleuten viele Geschenke in Gold und Silbert verteilte (Pradié, S. 128), aber diese Angabe ist mit Vorsicht zu verwenden (vgl. Voigt, wie Anm. 4, S. 49-50; siehe oben Anm. 4).
[11] Der Chronist betont, dass diese Güter bis heute (zu dem Moment, wo er schreibt), immer noch nicht in der Gewalt des Klosters seien (Pradié, S. 130). Dies erklärt die ungünstige Meinung des Verfassers zu Widolaicus.
[12] Vgl. Wood, wie Anm. 2, S. 8; Voigt, ebd., S. 50.
[13] Vgl. die gleichen Bemerkungen der Gesta zu den Äbten Raginfridus, Grimo und Vuido (Pradié, S. 96).
[14] Pradié, S. 130.  Die Gesta betonen nocht, dass er mit viel Geschmack die vom Feuer beschädigte Klosterkirche S. Peter wieder herrichtete (Pradié, S. 130 und 218 Anm. 2; Lohier/Laporte, wie Anm. 2, S. 80 Anm. 176).
[15] Pradié, S. 131.
[16] Remigius/Remedius, Bischof von Rouen (755-771).
[17] Pradié, S. 132.
[18] Gründer des Klosters.
[19] Pradié, S. 132.
[20] Pradié, S. 130. Die Gesta geben seiner Amtszeit eine Dauer von 36 Jahren, 8 Monaten und 13 Tagen (S. 132), was aber auf einem Rechenfehler beruhen muss (vgl. Becher, wie Anm. 2, S. 45; Lohier/Laporte, ebd., S. 79 Anm. 174).
[21] Unsicher: Saint-Sauveur-de-Pierrepont, Dépt. Manche, Arr. Coutances, Cant. Créances, oder Pierrepont, Weiler der Gemeinde Grandcourt, Seine-Maritime, Arr. Dieppe, Cant. Londinières (vgl. Lohier/Laporte, ebd., S. 81 Anm. 180; Pradié, S. 250; Laporte Jean, L'abbaye au temps de Charlemagne. Witlaïc 753-787, in: L'Abbaye S. Wandrille de Fontenelle 12, Saint-Wandrille 1962, 11-14, hier S. 14.
[22] Die Klosterkirche.
[23] Die Gesta bringen dann (S. 132) die Besitzaufnahme der Klostergüter, die im 20. Herrscherjahr Karls des Großen stattfand (= 09 octobre 787/08 octobre 788). Diese erfolgte sicherlich nach dem Tod des Abtes (vgl. Lohier/Laporte, wie Anm. 2, S. 83 Anm. 184; Gallia Christiana in provincias ecclesiasticas distributa, opera et studio Monachorum Congregationis S. Mauri Ordinis S. Benedicti 11, Paris 1759, Sp. 172).
[24] Actum Jobvilla palacio publici: Jupille(-sur-Meuse), Belgien, Stadtteil von Lüttich/Liège. Die Bezeichnung palacio publici in dieser Urkunde ist nicht ausreichend, um die Existenz einer Pfalz zu beweisen (Werner Matthias, Der Lütticher Raum in frühkarolingischer Zeit, in: Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 62, Göttingen 1980, S. 453 und Anm. 230; Josse Micheline, Le domaine de Jupille des origines à 1297, in: Pro Civitate. Collection histoire, Série in-8°, 14, 1966, S. 17).
[25] […] in anno V regnante Pipino glorioso rege, mense Martio […]: "Da Ostern 756 auf den 28. März fiel, ist ein Osteraufenthalt Pippins in Jupille sehr wahrscheinlich" (Werner, wie Anm. 23, S. 453 Anm. 229; Ganshof F. L., Note sur une charte privée carolingienne datée de Jupille, in: Mélanges Félix Rousseau. Etudes sur l'histoire du pays mosan au Moyen Age, Bruxelles 1958, 309-319, hier S. 316-319).
[26] Original verloren. Überlieferung: Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium, um 857/863 entstanden, erhalten hier in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts (Weidemann Margarete, Geschichte des Bistums Le Mans von der Spätantike bis zur Karolingerzeit. Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium und Gesta Aldrici, in: Römisch-germanisches Zentralmuseum. Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte. Monographien 56/1: Die erzählenden Texte, Mainz 2002, S. 1-20). Drucke in Auswahl: Weidemann, ebd., 56/2: Die Urkunden, Nr. 31 S. 265-266; Busson G. et Ledru A., Actus pontificum in urbe degentium, in: Archives historiques du Maine 2, Le Mans 1901, S. 254-257. Vgl. Le Maître Philippe, Le corpus carolingien du Mans, vol. 1:Texte de l'étude S. 299-304; vol. 2: Pièces justificatives et annexes S. 267. Thèse pour le doctorat de troisième cycle, Faculté des Lettres et Sciences humaines de Paris X – Nanterre. U.E.R. d'histoire, Paris 1980, dactylographiée; Goffart Walter, The Le Mans Forgeries. A chapter from the history of church property in the ninth century, in: Harvard Historical Studies 76, Cambridge 1966, Nr. 45 S. 259; Ganshof, wie Anm. 24, S. 309-310.
[27] Sicherlich zwei verwandte Getreuen des Königs.
[28] Siehe Artikel "Gauziolenus".
[29] […] per iussionem domni regis Pipini […]: Zum System der precaria verbo regis, siehe Wolfram Herwig, Karl Martell und das fränkische Lehenswesen. Aufnahme eines Nichtbestandes, in: Beihefte der Francia 37: Karl Martell in seiner Zeit, hg. von Jörg Jarnut, Ulrich Nonn und Michael Richter, unter Mitarbeit von Matthias Becher und Waltraud Reinsch, 1994, 61-78, hier S. 76-78; Ganshof, wie Anm. 24, S. 312-315.
[30] […] de aliquibus rebus sancti Gervasii de Arduno et Vertema in pago Pictavo, Sidariaco in pago Sanctonico, et Gaviriaco in pago Burdegalense […]. St. Gervasius ist die Kathedralkirche von Le Mans.
[31] Es wird sich wohl um den Abt von Fontenelle, der in Jupille anwesend war, handeln (vgl. Ganshof, ebd., S. 318) .
[32] Der Gebetsbund ist nicht datiert, aber Oelsner Ludwig, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter König Pippin (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig 1871, S. 474-477, hat das Jahr 762 als wahrscheinlich dargestellt; die Schlussfolgerungen von Schmid Karl und Oexle Otto Gerhard, Voraussetzungen und Wirkung des Gebetsbundes von Attigny (Francia 2, 1974, 71-122), S. 107 Anm. 50 scheinen dieses Datum zu bestätigen. Siehe auch Heidrich Ingrid, Synode und Hoftag in Düren im August 747 (Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50, 1994, 415-440), S. 440, die vermutet, dass die kombinierte Synode und Reichsversammlung um Mariä Himmelfahrt (15. August 762) stattfand.
[33] MGH  Legum sectio III. Concilia II/1: Concilia aevi Karolini I/1, recensit Albert Werminghoff, Hannover-Leipzig, 1906, S. 72-73. Von diesem Konzil besitzen wir heute nur noch eine noch im 8. Jahrhundert angefertigte Abschrift des Textes der Gebetsverbrüderung, die zwischen den anwesenden Bischöfen und Äbten mit Namen und Sitz abgeschloßen wurde. Die Reihenfolge der Namen stimmt wahrscheinlich nicht mit derer des Originals überein. Dazu Hartmann Wilfried, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, in: Konziliengeschichte, hg. von Walter Brandmüller, Reihe A: Darstellungen. Paderborn, 1989, S. 79-81; Ewig, wie Anm. 31, S. 240-242; Carlos de Clercq, La législation religieuse franque de Clovis à Charlemagne (507-814), Louvain-Paris, 1936, S. 143; Oelsner, wie Anm. 32, S. 361-363, 366; Werminghoff Albert, Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 24, 1899, 457-462, hier S. 469.

27.07.2016